Reisebericht Türkei, 4. Teil

Izmir 1966 und die Weiterfahrt

Nach einem festen Schlaf und einem späten und guten Frühstück, dem ersten seit Tagen, verließen wir das "Efes-Hotel" und begaben uns zu dem in der Nachbarschaft liegenden Busbahnhof, denn unsere Reise war in Izmir nicht beendet. Wir waren gegen 11.30 Uhr an der Otobüsleri, und der Bus nach Kusadasi sollte um 13.30 Uhr abfahren. Uns standen folglich zwei Stunden zur Verfügung, in der wir uns ein wenig die Stadt anschauen konnten.

Schon auf den ersten Blick machte Izmir, das alte Smyrna und Heimat des Homer (falls es ihn überhaupt gegeben hat! Athen, Ithaka, Pylos, Kolophon, Argos und Chios beanspruchen ebenfalls, sein Geburtsort zu sein.), einen gepflegten Eindruck auf uns. Von diesem Ort wollten wir mehr als nur die Busstation sehen. Ausländische Touristen waren kaum unterwegs, denn es war 1966. Auf dem Busbahnhof war die übliche emsige Geschäftigkeit. Busse fuhren qualmend unter lautem Hupen und nagelndem Gediesel ab und kamen an. Menschen liefen hin und her, hunderte waren in der Hitze auf den Beinen, um sich auf den Weg zu einem neuen Ziel zu machen. Wir standen etwas verloren und unzufrieden in dem Gedränge herum, wollten etwas Sightseeing machen, und uns störten die Reisetaschen, die wir bei uns hatten. Ärgerlich! Wohin damit? Eine Gepäckaufbewahrung gab es nicht. Und bei der Glut wollten wir die Taschen auch nicht durch die Gegend schleppen.

Es kam ein Junge auf uns zu, etwa 12 oder 13 Jahre alt. Er gab uns zu verstehen, dass er auf unser Eigentum achten werde, wir sollten beruhigt gehen. Ha! Aber nicht mit uns! Für wie naiv hält der uns eigentlich? Warum ist der Junge nicht in der Schule? Will hier herumstehen und uns bestehlen!? Wir gehen und er verschwindet? Andererseits, so tauschten Rolf und ich uns aus, machte er einen ordentlichen Eindruck. Würden wir ihn beleidigen, wenn wir seine Dienstleistung nicht annähmen? Hatten wir Schätze in unseren Behältnissen? Gewiss nicht. Etwas Wäsche, ein altes Kofferradio, Waschmittel in der Tube, eine Decke und Hosen..., ein eventueller Verlust wäre nicht erheblich gewesen. Also gut, Mut zum Risiko! Wir zeigten dem Knaben an, dass wir in etwa anderthalb Stunden zurück sein würden und gingen fort - bis zur nächsten Straßenecke. Von dort aus beobachteten wir ihn eine Weile, wie er dort stand und auf unsere Gepäckstücke achtete. Er rührte sich nicht vom Fleck.

Voller Unruhe unternahmen wir eine Fahrt mit einer Pferdedroschke, die man in Wien "Fiaker" nennt. In gemütlichem Trab ging es über die Straßen bis zur Uferpromenade hinunter und sehr langsam wieder retour. Schon nach etwa einer Stunde kamen wir zurück an die Otobüsleri - und der Bursche und die Taschen waren weg! Ja, ja, ja, so hatte es kommen müssen!, warfen wir Naivlinge uns zornig vor. Irgendwie war das ja abzusehen. Alle Klamotten futsch! Wir Blödmänner! Der Junge aber hatte sich wegen der Hitze nur ein wenig in den Schatten zurückgezogen. Als er uns nahen sah, übergab er uns mit einem Lächeln die Taschen. Wir fragten ihn, wie viel Lira er von uns erwarte. Er lehnte sofort jegliches Bakschisch entschieden ab und wehrte sich mit uns entgegenstreckten Handflächen, als wir ihm etwas Geld in die Hände stecken wollten. Er verabschiedete sich von uns, ging unbezahlt fort und ließ uns höchst nachdenklich und beschämt zurück. Natürlich fehlte von unserer Habe nichts.

Die restlichen fünfundneunzig Kilometer legte der Bus in zwei Stunden ohne Zwischenfälle zurück, vorbei an Flecken absoluter Weltkultur. Pünktlich kam er in dem idyllischen Ort Kusadasi an, in dem sich heutzutage während der Saison täglich zigtausend Touristen aufhalten. Wir wollten uns dieses beschauliche Städtchen an einem anderen Tag ansehen. Die letzten zehn der dreieinhalb tausend Kilometer brachten wir in einem flotten Rutsch mit einem Taxi hinter uns. Um 15.30 Uhr, nach einer Reisezeit von über 104 Stunden, war unsere Fahrt von Gelsenkirchen in die Türkei am Emek Palas-Oteli, direkt an dem Strand Yeşil Plaj, den man heute werbewirksam "Green Beach" nennt, beendet.

 

Fortsetzung 5. Kapitel: Kusadasi, Strand und Hotel

 

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