Abenteuer Sinai, Story von Heinz Albers
Die wundersamen Hände des Mohamed T.
Auszug aus der Kurzgeschichte von Heinz Albers

(Die vollständige Story können Sie in meinem
Buch "So fern und doch so nah" lesen)



Heiß weht der Wind von der Steinwüste her. Wie von einem riesigen Föhn angeblasen trocknet alles Lebende und Tote aus.

Die Lippen sind spröde, die Zunge schwillt unter dem dürren Gaumen. Das Sprechen wirkt etwas ungeübt, mühsam nur kommen die Wörter. Räuspern.

„Durst“, krächze ich Mohamed Taher an, „Wasser!" Und krame gleichzeitig in meinem Gehirn nach dem arabischen Ausdruck. „Maya! Maya!“

Mohamed Taher lächelt. Unter seinem Schnauzbart werden perlengleiche Zähne sichtbar. Längst hat er erkannt, was los ist. Hat mich von Ferne schon im Staub des Weges gesehen. Er weiß zu schätzen, dass ich ihn in seiner Landessprache angesprochen habe und nimmt mich mit in sein Reich.

Unter einer Plastikplane befindet sich das Wohnzimmer. Ein paar Teppiche im Sand bilden das Mobiliar. Ich setze mich. Eine in Schwarz gehüllte rundliche Frau, eine der vielen Schwiegermütter des Taher, bringt mir in einem erstaunlich schmutzigen Glas heißen Tee. Ich sehe nur im Rahmen tiefer, dunkler Runzeln ihre braunen Augen.

Zunächst verbrenne ich mir am Glas die Finger, danach die Zunge. Trinken, auch wenn es danach einen Lippenherpes gibt! Aber der Tee, heiß geschlürft, tut gut, belebt den Geist und spült die Spuren der Wüste aus der Kehle.

***

Was war geschehen? Irgendwo auf der Halbinsel Sinai, auf halben Wege zwischen Gebel Musa und Dahab, streikte der Minibus, wollte nicht mehr weiter, rollte auf der staubigen Straße aus, tuckerte noch einmal vor sich hin und stand dann still wie ein störrischer Esel.

Der nächste Ort war an die zwanzig Meilen entfernt, weit im Südosten an der Küste, drüben am Golf von Aqaba.

Ramadan Osman, der Fahrer, hob, nachdem er eine Weile den Motor reglos angestarrt hatte, hilflos die Schultern, sprach mit Mohamed Adel, setzte sich hinter das Lenkrad, schaute seelenruhig in die Ferne. Seine Gedanken waren rätselhaft und arabisch.

Mohamed Adel, unser Guide, suchte mit seinem Handy nach Feldstärke. Fehlanzeige. Kein Empfang.

Die Straße, inmitten der rötlichen Felsenwüste des Sinai, lag wie ein schwarzes Band unter und vor uns und wies den kurvigen Weg in Richtung Horizont. Flimmernder Asphalt. Kein anderes Fahrzeug, kein Mensch weit und breit. Nur hinten weiter war ein halbes Dutzend Dromedare zu sehen, die einsam ihres Weges zogen.

Nein, wir würden nicht laufen. Da waren Angelika und ich uns einig. Irgendwann käme ein anderes Gefährt, um uns aufzulesen. Allerdings sollte dies bald geschehen, denn unsere Fähre von Sharm El Sheikh nach Hurghada würde nicht auf uns warten.

Rund 45 Grad Celsius. Ganz weit entfernt warfen die rötlich schimmernden Felsen etwas Schatten auf den sandgelben Wüstenboden. Und selbst dort war es nicht kühler.

Adel, so hatten wir beratschlagt, wollte irgendwie versuchen, gemeinsam mit  Osman den Bus wieder flott zu machen. Und mich schickten sie los:

 „Geradeaus“, sagte Mohamed Adel und wies dabei mit seinem Arm in Richtung Horizont.

Nur drei, vier Kilometer seien es. Linker Hand an der Straße wohne sein Freund, der Beduine Mohamed Taher. Ich könne ihn gar nicht verpassen, denn sonst wohne niemand in dieser von Allah verlassenen Gegend. Taher solle ich aufsuchen, ihm sagen, was passiert sei. Er spreche etwas Englisch, wohne dort mit zwei seiner drei Frauen. Ich solle mit ihm zurückkommen, denn der Beduine sei ein begnadeter Mechaniker.

Als ich mich unter Protest auf den Weg machte, rief Adel mir noch nach: „Wasser heißt Maya!"

***

Der Weg zieht sich dahin, es ist glühend. Rundherum bis zum Horizont nur Sand, Geröll und gebirgshohes Gestein. Die Sonne kriecht nur langsam in Richtung Bergkette auf der rechten Seite. Keine Aussicht auf Schatten. Eine halbe Stunde ist vorbei. Nicht eine Spur von Taher und seinem Miniharem. Durst. Die Straße steigt an, die Schritte werden kürzer. Etwas Wasser und eine Kopfbedeckung hätte ich mitnehmen sollen. Kein Geräusch, nur meine Tritte sind zu hören und mein schwerer Atem. Ein kühles Bier? Kein Luftzug. Biene Maja geht mir durch den Kopf. Durch die Nase atmen. Die Sonne brennt auf der Haut. Flimmernde Hitze steigt in den Hosenbeinen hoch. Brennt meine Hose? Kein Speichel im Mund. An der gegenüberliegenden Straßenseite verrottet der Kadaver eines Tieres.

Eine weitere halbe Stunde später sehe ich es schon von Ferne her: einige Zeltplanen, dahinter ein graues Steingebäude, alles nur wenige Meter vom Straßenrand entfernt. Meine Schritte werden schneller. Ein Mann winkt mir zu. Neugierig schauen kleine Kinder mit Schnupfennasen zu mir hoch.

„Es salama aaleikum“, ruft der Beduine mir zu. „Aleikum es salama“, krächze ich. Damit ist mein Wortschatz an Arabischem schon nahezu ausgebeutet.

Kurz berichte ich ihm von unserer Panne und der unbekannten Diagnose, schlürfe den Tee und verscheuche matt die unzähligen Fliegen.

Taher tut wissend; gibt mir zu verstehen, ich solle mitkommen. Wir gehen an seinem Steinbau vorbei in Richtung Felsen. Dahinter zu meinem Erstaunen im Boden einige dürre Grashalme inmitten Allahs Garten der Steine, ein paar Zelte und Dromedare und unter einem Wellblechdach ein kleiner Pritschenwagen. Ein junger Mann hält mir die Tür auf; er redet unverständlich auf mich ein und lacht mir zu. Dabei lädt er einen Benzinkanister auf die Ladefläche.

Der Beduine und ich steigen ein. Zerfetzte Sitze, Sprungfedern, Rost und mehliger Staub. Es riecht nach Sprit. Die Armaturen sind ausgebaut. Taher startet den alten Wagen. Vorsichtig quält er das Getriebe, und die Reifen fassen Halt. Bewegung kommt in das Gefährt. Langsam schaukelt sich der Transporter krachend und schwarzen Qualm hinter sich lassend über Stein und Sand, am Wohnzimmer vorbei und auf die Straße. Die Kinder lärmen neben uns her und wollen offensichtlich mit. Mit gutturalen Lauten werden sie abgewiesen.

Die Fahrt zu unserem havarierten Minibus ist kurz. Warum braucht man zu Fuß mit einem Wohlstandsbauch so entsetzlich lange?

Ein freundliches Palaver bei unserer Ankunft. Überall fröhliche Gesichter. Zigaretten werden geraucht, eine Wasserflasche macht die Runde. Aus dem Kanister wird Diesel in den Tank geschüttet. Alle lachen mich an, als hätte ich eine Heldentat vollbracht. Natürlich fühle ich mich  geschmeichelt.

Endlich öffnet Mohamed Taher die Motorhaube, schaut mit ernster Miene prüfend den Motor an, schraubt hier, dreht dort, murmelt wie ein Wunderheiler Beschwörungsformeln, während unser Guide fasziniert zuschaut.

Taher ruft Osman etwas zu. Der gibt sorgsam Gas und der Motor nuckelt und hustet. Stille.

Taher wiederholt seine Riten, schraubt, murmelt, dreht. Wieder ein Kommando an Osman.

Der Motor läuft! Er läuft!

Händeschütteln, Schulterklopfen. Taher fährt mit seinem Wagen rußend und knatternd davon.

Zu Adel gewandt sage ich voller Hochachtung: „Ein toller Mechaniker! Wie der das kann!"

Adel pflichtet bei und sagt zu mir unter Lachen, dass er mit Taher telefoniert hatte. Wie das, wo es doch gar keinen Empfang gab? Telepathie statt Telefonie? Angelika meldet sich zu Wort und erläutert: Kurz nachdem ich gegangen war habe Adel um ihr Handy gebeten. Damit sei eine Verbindung zu Taher zustande gekommen. „Übrigens, der Tank war leer.“

Der Beduine wusste also bereits alles, bevor ich bei ihm war. Warum hatte man mich den harten Weg machen lassen? Dieses ganze Geschraube, Gemurmel und der Hokuspokus am Motor, alles nur Show?

„Klar“, sagt der Guide zu mir. "Das gehört zum Programm. So hast du zu Hause etwas zu erzählen.“

Adel, Osman und Angelika lachen lauthals und höchst albern. Es dauerte einen Moment, bis ich in das Gejauchze einstimmen konnte.

© Fotos und Texte: 2007 Heinz Albers

 

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